Heimat vs. Zuhause



Am 20. August 2014 um 23:58 habe ich diesen Text geschrieben:


"Hätte mich jemand vor einem Jahr gefragt, wo mein Zuhause ist, hätte ich ohne mit der Wimper zuzucken mit „Berlin“ geantwortet.
Ich mein, was soll ich sonst antworten? Ich bin hier geboren, aufgewachsen, hier wohnen meine Freunde; zwar nicht meine ganze Familie, aber alles was ich brauche.
Mein soziales Leben findet hier statt.
Diese Stadt steckt voller Möglichkeiten; so viele, dass es unmöglich ist, sich für eine zu entscheiden.

Letztes Jahr um diese Zeit hörte ich mir täglich den Song „Für immer Berlin“ von Die Orsons an. Ich steckte zwar nicht in der Situation, die in dem Song beschrieben wird, aber mit diesem „ich bleib für immer in Berlin“ konnte ich mich identifizieren.
Hier studieren – genau die Studiengänge, die ich von weit weg in Betracht ziehe; mit dieser Stadt leben. Wild, Unberechenbar und Bunt. Mein Wunsch. Und ich konnte mir auch nichts anderes vorstellen. Ich und diese Stadt. Ohne existiere ich nicht.
In jedem Urlaub in den letzten Jahren war immer der Gedanke und Wunsch präsent: „Oh man, wie cool wäre es jetzt in Berlin zu sein. Ich will zurück nach Berlin.“
Er ist immer noch präsent.

Doch irgendwas ist in diesem Jahr anders. Zu viel ist passiert. Zu viele Menschen haben dieser Stadt und mir den Rücken zugekehrt und ihr den Mittelfinger gezeigt.
Ich spüre nicht mehr das Kribbeln, wenn diese Stadt in ein rosa-rotes Licht getaucht wird und ich weiß, sie gibt mir so viel. Das „endlich wieder hier“ Gefühl.
Zu viel bedrängt mich, macht mir Angst und nimmt mir nicht meine Selbstzweifel, sondern macht sie viel stärker, hier. Weg hier. Alles hinter mir lassen.
Hamburg, Bremen, München, Münster.
Hauptsache Meer (wäre gut).

Wie kann ich behaupten zu wissen, wo mein Zuhause ist, wenn ich noch nie was anderes als „das hier“ kennen gelernt habe?

Notlandung auf Berlin von Chakuza feat. Madsen
Berlin von Jupiter Jones
Eigenes Berlin von Gloria

So viele Songs handeln von dieser Stadt. Sie gibt so viel und nimmt den Menschen zugleich alles.
Die Stadt, von der fast jeder Jugendliche in einem kleinen 200 Einwohner Dorf sagt: „Da will ich hin!“
Und ich will nur noch weg hier.

„Atmen die Stadt, ein, aus“

Zuhause, wo ist das?
Alles ist gleich, wenn ich wieder die gewohnten Straßen lang gehe. Als ob ich nie weg gewesen wäre. Alles drängt sich so in den Hintergrund.
Ich weiß, dass ich niemals ohne kann. Niemals damit klar kommen würde, hier wegziehen zu müssen.
Auch wenn ich gerne einen Neuanfang hätte. Ich kann nicht ohne.
Ohne unser Haus, ohne das abendliche auf meinem Dach sitzen und den Himmel über mir hinwegziehen lassen. Dieses Gefühl, was mir mein Ort/Meine Stadt/Meine Ecke gibt.
Ein dörfliches. Ein Dorf in der Stadt.
Die ersten Worte, die meinem Mund entkommen, wenn ich wieder dort bin, sind immer die gleichen:“Was ist so passiert? Ist überhaupt was passiert? Endlich etwas spannendes?“
Obwohl es in Berlin ist, sieht man kaum noch nach 9 Uhr ein Auto die Hauptstraße überqueren.
Meine Schule ist dort, mit all den Menschen, die ich verabscheue, mag, liebe und die, ohne die ich keinen einzigen Tag überlebt hätte.
Das ist so eine Zusammengehörigkeit. Eine Hassliebe.

„Endlich angekommen.“

Mittlerweile ist so vieles anders. Ich bin weggezogen. Manchmal tut es noch weh. Obwohl ich mittlerweile diese Glorifizierung von Berlin verabscheue, wie ich es selber getan habe. Ist das Gefühl, dass ich als "Berlin-Gefühl" bezeichnen würde, wirklich da? Oder ist es eine Einbildung?
Ist es einfach dieses Gefühl von Heimat? Ich würde gerne dieses Wort wieder von den Rechten zurück erobern. Es ist nicht etwas, das verloren gehen kann. Und es ist so viel mehr als das Konzept von "Nationalität" fassen kann.

Seit zwei Wochen bin ich wieder in Berlin. Ich genieße es sehr hier zu sein. An der Havel zu sitzen. U-Bahn zu fahren und ein bisschen davon zu träumen, wie es wäre Politikwissenschaft an der Freien Universität zu studieren. Ich vermisse Kiel nicht, aber die Menschen dort.

Heute habe ich erst verstanden: Nur, wenn man weggeht, kann man Dinge auch vermissen. 

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